Gestern habe ich ein Ufo entführt

Gestern habe ich ein Ufo entführt.

Ich fuhr mit meinem Corsa auf der A1 Richtung Köln, als mich das dringende Verlangen nach einer Toilette überkam. Da ich ein sauberes stilles Örtchen bevorzuge, lenkte ich meinen Wagen auf den Parkplatz des kleinen Rasthofs Sellscheid.

Auf der linken Seite stand in einer Parkbucht ein verlassener Sattelschlepper einer bekannten Lebensmittelkette. Davon abgesehen war der Platz zu dieser abendlichen Stunde wie leer gefegt. Mit einem leisen Quitschen der Bremsen hielt ich einige Meter vom einzigen Häuschen entfernt. Wahrscheinlich war der fehlende Schnellimbiss der Grund für die Stille.

Die fünf Meter zur Toilette hatte ich schnell laufend überwunden. Wie dringend es ist, merkt man ja immer erst, wenn man auf den Füssen steht. Eine einzelne Neonröhre flackerte über dem schmierigen Spiegel, als ich mir anschließend die Hände wusch. Das Wasser war der Jahreszeit angemessen eisig und auch wenn ich diese Heißluftgebläse eigentlich nicht mag, mit den nassen Fingern wollte ich so nicht nach Drausen und am Lenkrad festfrieren. Der Luftstrom endete zusammen mit dem Lärm, den die antiken Gerätschaft machte.

Ich hatte den Türgriff schon in der Hand und kramte in der Seitentasche nach dem Schüssel, als ich in der Glasscheibe die Spiegelung eines Lichtes sah, dass so da nicht hingehörte. Es war zwar bereits am dämmern, aber noch war der Himmel in ein apokalyptisches Rot-Orange getaucht. Vielleicht war es der letzte Sonnenstrahl dieses Tages gewesen, der in mein Seitenfenster gefallen war.

Ich hatte den Schlüssel bereits zum Schloss geführt, als mir die glorreiche Idee kam, die Stimmung in den Speicher meines Fotohandys zu bannen. Ich überprüfte als paranoid Geborener zwei Mal, dass die Tür noch immer verschlossen war und ging zunächst einige Schritte bis zu einer Sitzgruppe aus lackierten Baumstümpfe. Die Schuhe hätte ich eh putzen müssen – also kletterte ich die Böschung hinauf, um von dort die Abenddämmerung durch die Bäume zu fotographieren. Von unten sah es sogar danach aus, dass oben nach wenigen Bäumen eine Lichtung begann.

Ich hatte mir an Sträuchern und Bäumen die Hände schmutzig gemacht, als ich mich an ihnen hochgezogen hatte. Ich rieb sie deshalb aneinander, bis der gröbste Dreck abgefallen war und auch die Kälte wich. Aus der linken Hosentasche zog ich mein Handy hervor und machte das erste Foto. Das Auslösegeräusch ließ mich zusammenfahren und ich wechselte auf ein lautloses Profil, um die schöne Stimmung, die ich doch für mich einfangen wollte, nicht komplett zu zerstören.

Da war wirklich eine Kuhweide, die nach wenigen Metern an einem Elektrozaun begann. Ich versuchte auf einigen Bildern die untergehende Sonne in eine Astgabel zu legen oder an die Spitze eines Tannenzapfens zu hängen, doch das perfekte Bild wollte einfach nicht entstehen. Der Boden war sichtbar weich vom Tauwetter der letzen Tage. Auf der anderen Seite des Zaunes schien eine ganze Herde den Lehmboden umgegraben zu haben und auch meine Schuhe schmatzten mit jedem Tritt.

Ich sah die Kühe. Sie hatten sich an der gegenüberliegenden Seite der schlammigen Wiese dicht zusammengedrängt und schienen in meine Richtung zu blicken. Ich machte ein Foto. Die Herde war etwas zu sehr in Bewegung als nötig gewesen wäre. Auch war das Gras in der Ecke noch zu sehen – Inseln von hochgewachsenen Disteln – die Tiere hielten sich wohl die meiste Zeit in meiner Ecke auf. Vor mir waren sie jedenfalls nicht geflohen oder sie waren still, ohne jeden Muks zu machen, über die komplette Wiese gerannt. Ich schloss die Kamerablende und ließ sie in die Tasche gleiten.
Der Wiedezaungenerator war ganz in meiner Nähe – ich konnte das Zerhacken deutlich hören. Mit den Ohren versuchte ich das Geräusch zu orten und wurde auf meiner linken Seite fündig. Doch es war ganz sicher nicht der Generator.

Das Ding war fast kreisrund wie eine Frisbee nur irgendwie dicker. Es sah massiv aus und lehnte, halb in eine Pfütze versunken an einem Zaunpfahl. Mit jedem Tick des Zaunes gab es einen winzigen Lichtbogen vom Drahtgeflecht auf seine seidenschwarze Oberfläche. Es passte nicht an diesen Ort. „Man sollte es sich als abstrakte Kunst in den Garten legen“ war mein erster Gedanke. „Wo kommt es nur her?“ mein Zweiter.

Bis ich direkt davor stand, wäre ich beinahe auf meinem abgelaufenen Profil ausgerutscht. Ich suchte festen Halt auf einem Büschel Gras, dass sich als trockender Berg aus dem Schlamm erhob, packte mit beiden Händen an den Zaunpfahl und trat mit der rechten Fussspitze gegen das merkwürdige Objekt. Es war leichter als seine Form und Farbe vermuten ließ und drehte sich am Holz entlang. Irgendwann war die Holzkante erreicht und auch die andere Hälfte platschte in die braune Brühe, die sich daraufhin auf meiner hellen Cordhose verteilte, als wollte sie so meine Tollkühnheit abstrafen.

Das Ding hatte einfach kein Funktion und ich konnte mir nicht erklaren, wie es hier hingekommen war. So etwas fällt ja bekanntlich nicht einfach vom Himmel. Die Hände waren ja vom Holz wieder dreckig geworden, also ging ich in die Hocke um das Ding tastenderweise zu untersuchen. Die Oberfläche hatte eine ungewohnt regelmäßige Struktur, war aber kalt wie alles um mich herum. Ein winziger Punkt nur hatte sich grau verfärbt und war lauwarm – hier hatte sich der Zaun regelmäßig entladen.

Ich richtete mich auf und sah mich genaustens um. Wer sollte an diesem verlassenen Ort seinen Spass mit mir treiben? Doch nur die Kühe warteten scheinbar auf die Theatervorstellung an meiner Ecke der Weide. Mit dem Fuss schob ich nun das Gebilde vor mir her auf die Stelle der Böschung zu, wo ich hochgeklettert war. Ich wollte es in mein Auto werfen und zu Hause in der Garage verstauen. Warum? Ich weiß es beim besten Willen nicht mehr, aber wenn es jemandem gehörte, dann sollte er sich gefälligst zeigen und keine Rätsel mit mir spielen.

Es die Böschung hinunterwerfen kam nicht in Frage. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich dann mehr als einen verbogenen Klumpen Blech in meinem Kofferraum davonschaffen können würde. Also klemmte ich mir das koffergroße Objekt unter den Arm und bemühte mich, an dieselben Stellen wie beim Aufstieg zu treten.

Zwischen den vier Holzstühlen, nur wenige Meter von meinem Auto entfernt, machte ich dann die Augen wieder auf. Eine Gestalt kniete über mir und half mir, mich aufzusetzen. Es war der Fahrer des LKWs, der aus seiner Nachtruhe über dem Führerhaus durch einen lauten Knall wach geworden war. Dann habe ein Blitz seine Kabine erleuchtet, berichtete er mir in gebrochenem Deutsch mit osteuropäischem Akzent, ich sei wohl die Böschung heruntergerutscht und habe dabei das Bewusstsein verloren.

Keine Spur von dem schwarzen Ding. Auf der Suche nach meinem Handy, dass ich nach einigen Minuten unter einer Wurzel am Hang wiederfand, war es nirgendwo mehr zu sehen. Als Beweis für diese kleine Geschichte habe ich nur einen kleinen weißen Fleck, wie nach einer Verbrennung, an meinem rechten Handballen und die schlammigen Schuhe, die in der Garage vor sich hin trocknen.

Entweder der LKW Fahrer sammelt in seiner Freizeit auch Metallschrott oder es gibt Dinge auf diesem Planeten, die sich nicht einfach so mitnehmen lassen.

Glaubt es oder nicht.

Christian

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